Drontheim

Die Alstertor mit Nordmeertarnung in Drontheim. Foto: WLB Stuttgart

 Eines abends fiel mir auf der Mole ein junges Mädchen auf, das sich um die Schuppen herum bewegte. Immer wenn ich in Ihre Richtung ging, verschwand sie. Ich habe sie mehrmals von weitem angesprochen und ihr meine Hilfe angeboten. Später kamen zwei Norweger, die das Mädchen laut schimpfend mitnahmen. Am nächsten Abend war sie wieder da, diesmal lies sie mich heran kommen. Sie sagte in gut verständlichem Deutsch: „Du kennen Helmut Bader?“ Ich musste verneinen, versprach aber, ein paar Leute zu fragen. 

Ich sehe sei heute noch vor mir, die eine Hand seitlich an den Bauch gepresst die andere in den Rücken fassend. Sie war nach ein paar Worten schon außer Atem und blickte ängstlich auf ihren Bauch. Sie war offensichtlich schwanger. Am folgendem Abend habe ich die Schuppen besonders beobachtet. Aber nichts geschah.

Am folgenden Sonntag regnete es. Kurz vor Mitternacht habe ich das Mädchen ausgemacht. Ich bemerkte sofort, dass da etwas nicht in Ordnung war. Ich lief zu ihr hin. Sie stützte sich mit beiden Händen auf eine kleine Mauer und kotzte. Sie schweißnass und stöhnte fürchterlich. Ich bekam es mit der Angst zu tun und sagte zur ihr, dass ich Hilfe holen würde.

Ich bin zum Werkschiff rüber gelaufen und habe Alarm geschlagen. Ich musste dem Doktor  meine Geschichte zweimal erzählen. „Eine hochschwangere Frau hier bei uns auf der Pier? Das darf doch wohl nicht wahr sein. Kein Telefon, das fehlt mir noch. Und wer hat gesagt das sie so weit ist.

„Ich sage das Herr Doktor.“

„Woher willst du das wissen, du Pimpf?“

„Sie sieht so aus wie meine Mutter immer aussieht.“

„Wehe das stimmt nicht.“

Wir beide im Laufschritt zum Pier. Durch den Tumult, den ich gemacht hatte, hatten wir schon ein paar Leute im Schlepptau. Der Arzt sah sich die Kleine kurz an und sagte entgeistert: „Du hast Recht Moses, hoffentlich ist es noch nicht zu spät.“

Nach einigen Anweisungen ging es im Trab zum Hospital. Ich wollte wieder auf meinen Posten gehen, als der Doktor sagte: „Nix da, mein lieber du musst nun dabei sein, zu dir hat sie bestimmt Vertrauen.“ Einer Bordwache schickte er zu meinem Schiff: „Gehen Sie mal rüber und sagen Sie,  dass der Moses für eine Weile bei uns bleiben muss.“

Im Sani-Logis legten wir die Frau auf den Tisch. „Alles raus hier, nur der Moses bleibt hier. Los sprich mit ihr  und  zieh ihr die schweren Klamotten aus. Die ist ja nass wie eine Katze. Hinter dir ist das Waschbecken. Wasch dir die Hände und ihr das Gesicht.“

Ich wusste überhaupt nicht wie mir geschah und machte alles mechanisch. Der Arzt meinte, ich mache das prima. „Du machst das bestimmt nicht das erste Mal. Da haben wir aber noch einmal Glück gehabt, kleine Frau, das Wasser ist noch nicht weg.  Aber es geht gleich los.“

Ich habe überhaupt nicht mit bekommen, was der Doktor alles gemacht hat. Ich war so beschäftigt mit waschen und Schweiß abwischen, dass alles um mich im Nebel lag. Ich hab auch erst später bemerkt, das die Kleine meine Hände fast zu Brei gedrückt hat. Als sie schrie und ich sie trösten wollte, wusste ich nicht, wie ich sie ansprechen sollte. „Ist ja gut min Deern“, sagte ich schließlich. Din Deern hat einen gesunden Jungen bekommen, kannst ihn gleich baden.“ Das konnte ich wiederum gut, zu Hause habe ich das oft machen müssen. Der Kleine war ein Prachtkerl mit einer kräftigen Stimme. Im warmen Wasser fühlte er sich sichtlich wohl.  Aus Dreieckstüchern habe ich Windeln gemacht. In Handtücher eingewickelt hab ich den Schreihals der Mutter übergeben. Die war inzwischen wieder munter geworden. Unter Lachen und Tränen hat sie sich immer wieder bedankt. Der Doktor sagte „So meine Liebe, schlafen  sie ein wenig. Vorher  schreiben sie mal auf, wie sie heißen.“

„Draußen meinte der Doktor. „Du bist ein Mordskerl, mein Junge. Ich danke dir für die Hilfe.“

Gegen Mittag kamen zwei Autos auf die Mole gefahren. Polizei, Ortskommandant und der Doktor. Sie hatten die Eltern des Mädchens dabei. Alle zusammen gingen an Bord, um die Kinder abzuholen. Die junge Mutter fühlte sich sichtlich wohl, der Vater trug den Kleinen. Die beiden Frauen hatten sich untergehakt und gingen winkend zum Polizeiwagen. Dann waren sie weg.

Die Familie war wieder glücklich vereint. Allerdings war der Vater des Kindes leider tot. Er war ein deutscher Seemann, der bei Ausbruch des Krieges in Drontheim überrascht worden war. „Aber auf dem Weg zurück nach Deutschland ist mit seinem Schiff verschollen“, erzählte mir der Doktor. So hieß es im offiziellen Bericht, den ich beim Doktor einsehen durfte. Allerdings war was faul daran „Ich darf dir nicht mal den Namen des Mädchens nennen. Am besten du vergisst das Ganze. Geheime Militärische Operation“ Dabei verdrehte er die Augen.

Ich war tagelang sehr traurig und deprimiert. Ich kam mir verloren und verlassen vor. Ich war drauf und dran, eine Dummheit zu machen. Ich wollte „achteraus segeln“ wie der Seemann sagt, also von Bord verschwinden. Jeden Morgen fuhren einige Fischerboote von der selben Mole ab, an der wir festgemacht hatten und blieben zwei bis drei Tage draußen. Da wollte ich mit. 

Mit ein Paar Flaschen Schnaps in den Taschen bin ich an Bord eines dieser Boote gegangen. Ich wollte nur ein paar Tage mit denen raus fahren. Auf der Alstertor hatten wir schon Order hatten und konnten jeden Augenblick den Hafen verlassen. Dann würde ich nicht da sein.

Dann war ich tatsächlich im Buglogis eines solchen Bootes. Du meine Güte, ich hatte noch nie so einen Dreck gesehen. Der Gestank war unbeschreiblich. Überall auf der Back, in den Kojen, an den Wänden Fischschuppen. Bei jeder Bewegung des Kutters schwappte mir Wasser über die Schuhe. In der Brühe schwabbelten Fischabfälle, Kaffeesatz, Zigarettenstummel, Speisereste, alles sehr appetitlich.

Auf dem Tisch standen große Steinguttassen ohne Henkel. die außen mit einer fingerdicken Schmierschicht verdreckt waren. Ein Fischer pulte mit den Fingern den Kaffeesatz aus der Tasse und warf ihn die Brühe unter uns. In das so gesäuberte Gefäß schüttete er von dem Schnaps. Ich dachte nur: Alkohol desinfiziert, aber vom Ekel kriegste die Gelbsucht.

Ich habe meinen Kopf aus der Luke gesteckt, um Frischluft zu tanken. Da bemerkte ich, dass der Kutter an der Bunkermole anlegte, wahrscheinlich, um Diesel zu übernehmen. Das war die Gelegenheit, mich auf englisch zu empfehlen und diesen grässlichen Kahn zu verlassen.

Was bin gerannt, um wieder auf mein Schiff zu kommen. Die hatten die Gangway schon eingezogen, ich musste die Jakobsleiter raufklettern. Erschöpft wie ich war, brachte ich kein Wort heraus. Sie haben mich in meine Koje getragen und mich ein paar Stunden schlafen lassen. Nachher wollten sie mir Angst machen mit Kriegsgericht usw. Ich hab auf stur geschaltet und nicht gesagt, wo ich war und was ich wollte.

Mit Kurs auf Narvik verließen wir Drontheim mit den lästigen Fliegerangriffen. Die Ruhe in den Fjorden war uns allen sehr willkommen, denn wir hatten noch den größten Teil der Benzinladung an Bord. Es war uns nicht so recht klar, was damit passieren sollte, bis mein Kollege in einem alten Völkischen Beobachter einen Artikel vom heldenhaften Einsatz unserer Luftwaffe fand. Anfang April wurden Truppen nach Narvik eingeflogen, aber aus Treibstoffmangel konnten die Maschinen den Rückflug nicht mehr durchführen. Nun lag die Vermutung nahe, das Benzin sollte für diese Ju 52 sein.

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